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Sind doch alle Tod – also was solls?

Beginnen wir mit einer einfachen Frage. Was haben der französische (Sonnen-)König Ludwig XIV., der französische Denker Charles-Louis de Montesquieu, die österreichische Schriftstellerin und Adelige Bertha von Suttner und der Diktator Adolf Hitler gemeinsam?

Sie sind alle tot… Warum also befassen wir uns mit Geschichte, wenn doch die Akteure alle tot sind? Ihre Leichen sind alle schon längst verfault. Was gehen uns diese verblichenen Menschen heute an? Leben wir nicht genauso gut, ohne etwas von diesen Menschen zu wissen? Die Frage ist essentiell für die Geschichtswissenschaft im Allgemeinen wie auch für das Schicksal dieser Webseiten.

Nähern wir uns dieser Problematik mal von einer anderen Seite – also nicht von den damaligen Personen aus Fleisch und Blut, sondern befassen wir uns mit ihrem Denken und Wirken. Wir werden sehen, dass diese Personen – obschon lange tot – sehr wohl nach wie vor die Gegenwart mitgestalten:

  • Der Sonnenkönig Ludwig XIV. war derjenige König, der die absolute Königsmacht in Frankreich endgültig gegenüber dem aufmüpfigen Adel durchgesetzt hat. Er gilt als Blaupause Europas für den Absolutismus – ein politisches System, in welchem allein der König herrscht und nur Gott Rechenschaft schuldig ist. Die forcierte Zentralisierung staatlicher Macht in Form der königlichen Staatsgewalt bezüglich Steuereintreibung aber auch bezüglich des Strassenbaus, der Landesverteidigung usw. war ein Meilenstein in Richtung unserer heutigen Nationalstaaten – auch der Schweiz. Heutige Staatsgewalt heisst für die Bürgerin und Bürger nicht bloss Steuern zahlen, sondern auch Strassen und Rechtssicherheit zu geniessen.
  • Charles-Louis de Montesquieu war ein französischer Adeliger zu Zeiten des Sonnenkönigs. Mit seinem Buch «De l’esprit de lois» hat er nicht bloss den Grundstein heutiger Sozialwissenschaften gelegt, sondern auch die original britische Idee der Gewaltenteilung europäisch bekannt gemacht. Die Gewaltenteilung in Exekutive, Legislative und Judikative gilt heute als zentrales Grundprinzip eines Rechtsstaates.
  • Bertha von Suttner war eine Pazifistin und Schriftstellerin, die 1905 als erste Frau den Friedensnobelpreis erhielt. Sie sah als eine der wenigen damaligen Menschen in der beginnenden Fliegerei eine neue Waffe, die das damalige Kriegsvölkerrecht auf den Kopf stellen würde. Sie war es auch, die einen offenen Brief – unterzeichnet von vielen Wissenschaftlern unter anderem von Albert Einstein – an die Regierungen aller europäischen Grossmächte sandte, mit der Aufforderung, die massive Aufrüstung zu beenden, da ansonsten ein grosser Krieg die Welt in ihren Grundfesten erschüttern könnte. Der Brief blieb politisch ohne Widerhall. 1914 brach der Erste Weltkrieg aus, der Europa in seinen Grundfesten erschütterte. Die Folgen sind gerade im Nahen Osten bis heute spürbar.
  • Der Österreicher Adolf Hitler erklomm mit List, Tücke, Skrupellosigkeit und viel Glück als Chef der NSDAP die politische Leiter im Deutschen Reich bis in den Sessel des Reichskanzlers. Lücken in der Verfassung ausnützend erklärte er sich zum Diktator Deutschlands und riss die Welt in den Abgrund des mörderischen Zweiten Weltkrieges. Die Auswirkungen sind bis heute zu spüren: Als die Bundeskanzlerin Angela Merkel 2008 die Europäische Union aus der Finanz- und Währungskrise hinausmanövrieren wollte und dafür Griechenland und Italien massive Sparmassnahmen abverlangte, verglichen die dortigen Medien Frau Merkel mit Hitler.

Das Fazit: Menschen kommen und gehen, ihr Denken und Wirken bleiben aber für Jahrzehnte – ja Jahrhunderte – bestehen.

Geschichte als Identitätsstiftung – mit gefährlicher Nebenwirkung

Ob es uns passt oder nicht, unsere Lebenswelt hängt mit Leuten zusammen, die bereits sehr lange tot sind. Schlecht ist das nicht. Die eigene Biographie, die Geschichte unserer Verwandten im Kleinen und die Geschichte unseres Landes im Grossen wirken sich nämlich auf unsere Werthaltungen, unser Denken und unser Handeln aus. Sie schaffen Identität und geben uns das wohltuende Gefühl, zu einem grossen Ganzen zu gehören. Genauso wie die Erinnerung an schöne Ereignisse in der eigenen Biographie uns die Gewissheit eines stabilen Daseins gibt, so dienen auch Gedenktafeln und Denkmäler der kollektiven Erinnerung und der Identitätsstiftung. Da die Gegenwart aus dem Vergangenen resultiert, hilft uns die eigene Biographie wie auch die kollektive Erinnerung, das Gegenwärtige zu verstehen.

Dieser Umstand wurde und wird von den Eliten auch gerne für eigene Zwecke missbraucht. Der Blick auf die Gegenwart lässt sich nämlich kontrollieren, indem man die Deutungshoheit über die Geschichte gewinnt. Nehmen wir als Beispiel die Geschichte der Eidgenossenschaft. So basiert die kollektive eidgenössische Erinnerung oft auf Mogeleien. Dass unser Scharfschütze und Freiheitsheld – Wilhelm Tell – in das Reich der Legenden gehört, tut seiner Rolle als Sinnbild Schweizer Tugenden und Unabhängigkeitswillen keinen Abbruch. Dass die vielgerühmte Verteidigungshaltung der Eidgenossen z.T. einer Lüge entspringt erkennen wir unter anderem an der berühmten Schlacht von Sempach. Auf einer lieblichen Wiese hoch über dem Sempacher See traten am 9. Juli 1386 die Luzerner mitsamt Bundesgenossen einem habsburgischen Ritterheer entgegen und verteidigten erfolgreich in diesem blutigen Gemetzel die Freiheit der Stadt Luzern und der Eidgenossenschaft. Dass der Krieg nur ausbrach, weil Luzern den Habsburgern die Stadt Sempach klauten, geht dabei unter.

Auch Diktatoren bedienen sich der Manipulation der Geschichte, um die kollektive Sicht auf die Gegenwart zu kontrollieren. So bemühte der italienische Diktator Benito Mussolini die Glorie des alten Römischen Reiches, um die Italiens Platz in der Welt und seine eigene Position als Diktator zu legitimieren. Adolf Hitler wiederum stellte sich in unzähligen Reden und Schriften in die Reihe stolzer deutscher Herrscher, um sich in «historischer Konsequenz» als den einzig wahren Retter der Deutschen Nation darstellen zu können.

Durch die Geschichte einen Blick in die Zukunft wagen

Geschichte wirkt sich Identitätsstiftet aus. Die Geschichte vermag aber noch mehr. Beginnen wir unsere gedankliche Reise mit einem Philosophen: Der Philosoph Kierkegaard schrieb, der Blick auf die Zukunft sei ausschliesslich ein von der Vergangenheit reflektierter Blick. Nun Vertreter dieser Berufsgattung sind allgemein bekannt für ihre Neigung zu komplizierten, mit Paradoxien geschwängerten Sätzen. Indes erscheint die Aussage von Kierkegaard nur auf den ersten Blick paradox. Definieren wir vorerst einmal Geschichte nach J.G. Droysen (1808 – 1884) als das Resultat menschlichen Handelns, so lässt sich in der Tat behaupten, dass zukünftiges Handeln wesentlich von vergangenen Handlungen abhängt. Nehmen wir ein alltägliches Beispiel. Wer für einen Bekannten ein Geburtstagsgeschenk besorgen will, denkt darüber nach, was diese Person in der Vergangenheit für Vorlieben gezeigt hat. Zu treffende Entscheidungen sind also nie isolierte Prozesse, sondern sie vollziehen sich auf der Basis von Erfahrungen aus vergangenen Situationen, so dass zukünftige Handlungen im Wesentlichen auf Vergangenem fussen.ii Diese Erkenntnis hat weitreichende Folgen: Zukünftige Entscheidungen bedürfen der Kenntnis der Gegenwart, welche wiederum als Produkt der Vergangenheit nur durch diese gänzlich verstanden werden kann. Ein Blick in die Zukunft kann somit nur in Kenntnis der Vergangenheit gewagt werden. Wie sollte ohne Kenntnis der Vergangenheit die heutige wirtschaftliche und politische Situation der Schweiz wie auch anderer Länder erklärt und zukünftige Pläne ersonnen werden? Praktischer Nutzen aus dieser Erkenntnis ziehen zum Beispiel Börsenanalysten, die nach dem so genannten Portfoliotheorem des Wirtschaftswissenschaftlers und Nobelpreisträgers Tobin vorgehen. Tobins Idee ist folgende: Man nehme von verschiedenen Wertpapieren die früheren Kursverläufe, stelle diejenigen mit gegensätzlichen Verläufen zu einem Portfolio zusammen und nehme an, die Werte der Vergangenheit und der Gegenwart setzen sich in die Zukunft fort.

Historia magistra vitae – Die Geschichte als Lehrmeisterin des Lebens?

Bedeutet dies jetzt, dass ein jeder aus der Geschichte lernen kann? Wieso eigentlich nicht. Niemand hat das Verlangen, mit dem Kopf an den Türbalken zu stossen, wenn der betreffende weiss, dass die etwas harte Bekanntschaft mitunter tödlich enden kann – ein tragisches Schicksal, das Karl VIII., König von Frankreich, am 7. April 1498 ereilt hat.iii „Historia magistra vitae“ hiess das Zauberwort von der Renaissance bis hin ins 18. Jahrhundert. Die Idee ist einfach: Aus der Geschichte können direkte Handlungsanweisungen abgeleitet werden. So einfach ist es jedoch nicht. Geschichtliche Situationen sind jeweils in ein bestimmtes kulturelles, politisches, geistiges Umfeld eingebettet. Sie sind nicht wiederholbar. Der Aufklärer Montesquieu hat Genf bezüglich des Vertragsrechtes eine treffliche Republik genannt, da selbst die Kinder von verstorbenen Schuldnern haften und Nachteile in Kauf nehmen müssen, was den Genfer Kaufleuten mehr Glaubwürdigkeit verschaffe.v Können heutige fehlbare CEO’s so bestraft werden? Ein weiteres Beispiel: Johann Wolfang von Goethe rechtfertigte sein dreistes Abschreiben von Shakespeares Werken mit folgenden Worten der Unschuld: „So singt mein Mephistopheles ein Lied von Shakespeare [Hamlet], und warum auch nicht? Warum sollte ich mir die Mühe geben, ein eigenes zu erfinden, wenn das von Shakespeare eben recht war und eben das sagte was es sollte?“ Die Situation ist heute jedoch anders. Wenn im 18. Jahrhundert niemand am Abschreiben Anstoss nahm, so verurteilt die heutige Gesellschaft eine solche Handlung. Die Kenntnis der Geschichte kann nicht mehr als das Verstehen der Gegenwart fördern und so indirekt einen Blick in die Zukunft unterstützen.


Wer und was schreibt Geschichte?

Was sind Quellen?

Die Erkenntnisse der Geschichtswissenschaft basieren auf so genannten Quellen. „Quellen nennen wir alle Texte, Gegenstände oder Tatsachen, aus denen Kenntnis der Vergangenheit gewonnen werden kann.“[1], schreibt der Historiker Ernst Opgenoorth. Quellen können Texte, Bilder, Filme, archäologische Funde usw. sein. Ein Text beispielsweise wird aber erst zu einer historischen Quelle, wenn dieser als Tor zur Vergangenheit verwendet wird. Dabei gibt eine solche Quelle nie selbstständig ihre Informationen preis. Vielmehr muss der Historiker/die Historikerin diese mit geeigneten Fragen herausfiltern.

Quellen werden in Überreste und Traditionen unterteilt. Erstere sind unabsichtlich hinterlassen worden (Bsp.: Buchhaltung), letztere werden mit Absicht für spätere Generationen produziert (Bsp.: Memoiren). Auch wird zwischen Primär- und Sekundärquellen unterschieden. Primärquellen sind die unmittelbaren Zeugnisse vergangener Epochen. In Abbildung 1 sehen wir die erste Seite der Einleitung aus dem politischen Traktat des Franzosen Amelot de la Houssaye aus dem Jahre 1705.[2] Sogenannten Sekundärquellen sind beispielsweise Schulbücher, in denen Primärquellen erläutert werden. Die Grenzen sind fliessend. Beispielsweise kann ein deutsches Schulgeschichtsbuch aus dem Jahre 1939 einerseits als Sekundärquelle betrachtet werden, da es ja bereits eine Verarbeitung von Historie darstellt. Andererseits dient es auch insoweit als Primärquelle, als mit ihr auf die Denkweise im Dritten Reich geschlossen werden kann.

Abb. 1: Aus der Schrift von Amelot de la Houssaye


[1] Opgenoorth (1997), S. 40

[2] Houssaye, Amelot de la: Histoire du gouvernement de Venise. Dernier edition, reveüe, corrigée & augmentée, avec Figures. Amsterdam 1705

Quellen sind mit Vorsicht zu geniessen

Wer und in welcher Absicht schreibt in der Vergangenheit denn nun auf, was wir heute als Quelle benutzen? Genau hier ist Vorsicht angebracht. Jeder Mensch hat seine eigenen Ansichten, seinen eigenen gesellschaftlichen Hintergrund uns seine eigenen Werte, wodurch ein jeder eine Beobachtung anders interpretiert und – wenn es um Schriften geht – in andere Worte fasst. Zudem verfolgt jeder Mensch mit der Erschaffung der später so genannten Quelle seine eigenen Ziele.

Zeugen aus der Vergangenheit sind subjektive Beobachter und Analytiker

Betrachten wir folgendes Beispiel: Am 21. Januar 1793 besteigt König Ludwig XVI. auf dem «Place de la Révolution»[1] zu Paris das Schafott und legt sich auf die Bare der Guillotine. Das Beil fällt herab und der Scharfrichter hält das königliche Haupt sichtbar für alle Anwesenden empor. Nehmen wir an, zwei fiktive Personen – Jean und Charles – sehen dem blutigen Spektakel zu, gehen nach Hause und vertrauen das Erlebte ihren Tagebüchern an.

Abb. 2: Quellen sind subjektiv!

Jean schreibt in sein Tagebuch:

«Bürger Capet wurde heute vom Henker hingerichtet.»

Charles wiederum schreibt in sein Tagebuch:

«König Ludwig XVI. wurde heute vom Pöbel ermordet.»

Beide beschreiben dasselbe Ereignis, ihre Wortwahl weist aber auf eine unterschiedliche Interpretation hin. Während Jean den Hingerichteten als Bürger – also seinesgleichen – betrachtet, dessen Tod durch ein ordentliches Gericht beschlossen worden ist, bedauert Charles die Ermordung des Königs durch das dumme Volk. Das Problem ist, dass die Historikerinnen und Historiker die tatsächlichen Ereignisse nur durch die Analyse der hinterlassenen Quellen nachskizzieren können. Weder Jean noch Charles beschreiben die gesamte damalige Wirklichkeit. Vielmehr schimmert die Realität zwischen beiden Tagebucheinträge durch, wodurch die Historiker beide zu einem Gesamtbild zusammensetzen müssen.

Achtung vor gezielten Manipulationen!

Kniffliger wird es, wenn sich gezielte Absichten in einer Quelle verbergen. Folgendes fiktives Beispiel illustriert die Problematik: Wir blicken zurück auf die Kanzlerschaft von Frau Merkel und greifen dort einen Satz heraus, den sie – hier fiktiv – gesagt hätte. Den gleichen Satz legen wir Joseph Goebbels in den Mund, seines Zeichens Propagandaminister des Dritten Reiches.

Abb. 3: Zwei sagen das genau gleiche…wirklich das gleiche?

Was meint Angela Merkel mit dem Satz «Bei uns in Deutschland herrscht Religionsfreiheit»? Sie meint wohl dasselbe, was auch das Deutsche Grundgesetz (Verfassung) festhält, nämlich, dass ein jeder Mensch in Deutschland frei seine Religion wählen und ausüben darf. Interessant ist allerdings dieselbe Aussage aus dem Munde von Joseph Goebbels. Der Propagandaminister des 3. Reiches war promovierter Germanist, konnte also virtuos mit Worten umgehen. Was bedeutet diese Aussage entsprungen der Feder des Propagandaministers eines intoleranten, hasserfüllten und Juden verfolgenden Regimes?  Wir dürfen davon ausgehen, dass Goebbels damit nicht Religionsfreiheit im herkömmlichen Sinne meinte, sondern diesen Begriff in einer sehr viel engeren Definition verstanden wissen wollte – nämlich nur für die christlichen Religionen.


[1] Heute heisst der Platz «place de la concorde»

Quelleninterpretation gemäss AQUA

Quellen sind also mit Vorsicht und Bedacht zu begutachten. Wie gehen wir aber vor, um eben diese Vorsicht anwenden zu können. Etabliert hat sich die so genannte AQUA-Methode:

Abb. 4: Das AQUA-Prinzip

Betrachten wir als Beispiel folgendes Gedicht eines gewissen Johannes R. Becher aus dem Jahre 1953:

Wow! Könnte man jetzt sagen. Dieser gewisse Stalin scheint ja wirklich ein super netter Typ zu sein! Doch halt! Die Alarmglöcklein müssen jetzt anfangen zu bimmeln! Wer war dieser Stalin?

Josef Wissarionowitsch Dschughaschwili – ursprünglich ein Georgier – war derjenige, der die Sowjetunion von 1927 bis 1953 mit brutalster Härte als Diktator führte. Seiner Brutalität, seinem Machtanspruch und seiner Unfähigkeit wegen verloren über 10 Millionen Menschen ihr Leben.

Nun wenden wir das AQUA-Prinzip auf Bechers Hymne auf Stalin an:

Autor Johannes R. Becher amtete zwischen 1954 bis 1958 als Kulturminister
der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) – ein Staat, der zur Sowjetunion gehörte.
Quelle Es handelt sich um einen Gedichtsauschnitt aus seiner Lobpreisung zum Tode Stalins 1953.
Adressat An die Bevölkerung der DDR und der Sowjetunion gerichtet. Aber es geht hier natürlich auch um seine eigene Karriere. Er erhielt den «Stalinspreis»

Warum Epocheneinteilung?

Wir alle kennen die Einteilung der Geschichte in Epochen. Wir sprechen von Altertum, Mittelalter, Neuzeit, Zeitgeschichte. Diese Einteilung ist jedoch nicht naturgegeben, sondern wurde zwecks einfacherer Orientierung eingeführt. Allgemein gilt der Gymnasialrektor Christoph Cellarius (1638 – 1707) als Begründer dieser klassischen Einteilung, wobei er nur die ersten drei genannt hat. Cellarius hat übrigens nicht ohne Grund das Zeitalter zwischen Altertum und Neuzeit „Mittelalter“ genannt. Humanisten wie eben Cellarius, die eine Wiederauferstehung der grossartigen Kultur des Altertums anstrebten – deshalb auch „Renaissance“ – sahen in der Zeit zwischen der ihren (Neuzeit) und dem Altertum eine Periode des kulturellen Abstiegs. Deshalb nennen sie diese Zeit abschätzig das Mittelalter – ein Zeitalter, das nicht bloss einen Anfang, sondern zum Glück auch ein Ende hat. Die Zeitgeschichte als eigene Epoche kam erst später hinzu. Dabei markieren markante Brüche in gesellschaftlicher, politischer, wirtschaftlicher oder kultureller Hinsicht den Übergang von einer zur nächsten Epoche. Historiker sprechen auch von einer so genannten Zäsur.L Je nach Ansicht wird der eine oder der andere Bruch als wegweisend anerkannt und somit schwanken die Jahreszahlen. Beispielsweise lässt sich der Übergang von Mittelalter zur Neuzeit anhand der Entdeckungsreisen markieren (Christoph Columbus entdeckt Amerika 1492), da mit der Entdeckung neuer Erdteile die Vorstellungswelt der Menschen entscheidend verändert worden ist. Das Jahr 1517 käme aber auch in Frage, da dieses Jahr die Glaubensspaltung und somit den Bruch vom einheitlichen christlichen Glauben zu einer Vielfalt an Glaubensrichtungen markiert. Die Epochen sind also keinesfalls fix, sondern unterliegen der Argumentation.

Wie lange dauert ein Jahrhundert?

Eine völlig absurde Frage – zumindest auf den ersten Blick. Ein Jahrhundert dauert natürlich 100 Jahre, was denn sonst!? Für Historiker ist dies jedoch keinesfalls so eindeutig. In jedem Jahrhundert ist ein übergeordnetes allgemeines Thema auszumachen, wodurch der Übergang von einem zum anderen Thema als Bruch wahrgenommen wird, welcher also dann die Abgrenzung zwischen den Jahrhunderten ausmacht. Damit lässt sich die Geschichte systematisch ordnen. Das 19. und 20. Jahrhundert dienen hier als Beispiel. Allgemein wird vom langen 19. Jahrhundert und vom kurzen 20. Jahrhundert gesprochen. Dabei beginnt ersteres mit dem Zusammenbruch des alten Regimes (ancien régime) in der Französischen Revolution (1789) und endet mit dem Jahre 1917.

Abb. 5: Langes 19. Jhr. und kurzes 20. Jhr.

Als Thema des 19. Jahrhunderts lässt sich beispielsweise die Entwicklung der Nationen nennen. Das so genannte Epochenjahr 1917 ist geprägt einerseits durch die Russische Revolution und spätere Gründung der Sowjetunion, was zur Spaltung der Welt in Ost und West führte und andererseits durch das erstmalige Auftreten der USA als Grossmacht im Ersten Weltkrieg. Das 20. Jahrhundert ist somit geprägt durch den Niedergang Europas als alleinige Weltmacht und den Aufstieg der USA und der Sowjetunion, was indes zur erwähnten bipolaren Welt führt. Diese Spaltung endet erst mit dem Jahre 1989 – also mit dem Zusammenbruch des sowjetischen Reiches, womit auch das 20. Jahrhundert sein Ende findet. Diese Einteilung ist aber bloss ein Ordnungsprinzip, um dem historischen Chaos eine Systematik zu verleihen. Nach wie vor fängt das 20. Jhr. mit 1900 an. Welches Thema das 21. Jahrhundert hat, liegt in den Sternen. Historiker sind schlechte Propheten…

Literatur

Brockhaus! Merkwürdiges, Kurioses und Schlaues. Was so nicht im Lexikon steht. Leipzig 1997.

Commynes, Philipp: Memoiren. Europa in der Krise zwischen Mittelalter und Neuzeit. Übersetzt und herausgegeben von Fritz Ernst. Stuttgart 1972.

Cornelissen, Christoph: Epoche. In: Jordan, Stefan (hrsg.): Lexikon Geschichtswissenschaft. Hundert Begriffe. Stuttgart 2002. S. 70 – 72.

Herzog, Benjamin: Historia magistra vitae. In: Jordan, Stefan (hrsg.): Lexikon Geschichtswissenschaft. Hundert Begriffe. Stuttgart 2002. S. 145 – 148.

Lorenz, Chris: Konstruktion der Vergangenheit. Eine Einführung in die Geschichtstheorie. Köln/Weimar/Wien 1997.

Montesquieu, Charles-Louis de Secondat Baron de la Brède et de: De l’esprit des lois. In: Caillois, Roger (hrsg.): Oeuvres complètes. Paris 1951.

Opgenorrth, Ernst: Einführung in das Studium der neuen Geschichte. Paderborn/München/Wien/Zürich 51997. Schulze, Winfried: Einführung in die Neuere Geschichte. Stuttgart (3. Auflage) 1996.

Völkel, Markus: Vergangenheit. In: Jordan, Stefan (hrsg.): Lexikon Geschichtswissenschaft. Hundert Begriffe. Stuttgart 2002. S. 300 – 303.

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NACH OBEN

«Ceteris paribus» ist eine vereinfachte Annahme in wissenschaftlichen Modellen. Dabei werden die Auswirkungen der Veränderung einer Variablen unter Konstanz aller anderen beobachtet und gemessen.

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Eine Konsumsteuer wird vom Anbieter bezahlt. Dieser wird natürlich die Steuer auf den Konsumenten abwälzen. Entsprechend verschiebt sich die Angebotskurve.

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Der Begriff «Kartell» bezeichnet eine Vereinbarung zwischen zwei oder mehr Firmen, welche zum Ziel hat, den Wettbewerb abzuschwächen resp. zu verhindern.

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Der französische Chirurg und Ökonom François Quesnay (1694 – 1774) - der Leibarzt von König Ludwig XV. - erkannte als erster, dass der Wohlstand eines Landes auf Erstellung und Konsum von Waren und Dienstleistungen beruht. Nicht der Goldhaufen in der Schatzkammer des Königs, sondern die Waren- und Dienstleistungsströme repräsentieren die Leistung und den Wohlstand einer Volkswirtschaft.

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Manche Branchen bedürfen staatlicher Unterstützung. Das Paradebeispiel in der Schweiz ist die Landwirtschaft. Gemäss Art. 104 und 104a BV (Bundesverfassung) sorgt der Bund dafür, dass die Schweizer Landwirtschaft die Ernährungssicherheit der Bevölkerung im ökologisch verträglichen Rahmen sicherstellt. Dabei unterstützt er die Landwirte mit Geldzahlungen – so genannten Direktzahlungen. Landwirte erhalten nur unter bestimmten Bedingungen (Grösse, ökologischer Anbau usw.) Direktzahlungen vom Staat.

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Die Zivilstandsverordnung (ZstV) Art. 24 definiert den Ledignamen wie folgt: „Als Ledigname einer Person wird der Name erfasst, den sie unmittelbar vor ihrer ersten Eheschliessung oder Begründung einer eingetragenen Partnerschaft geführt hat; oder gestützt auf einen Namensänderungsentscheid als neuen Ledignamen erworben hat.

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