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Die privatrechtliche Haftung sieht in der Übersicht folgendermassen aus:
Hier betrachten wir die Verschuldenshaftung und die Milde Kausalhaftung.
Was bedeutet «ausservertragliche Haftung»?
Ausservertragliche Haftung bedeutet, dass es zwischen dem Schädiger und dem Geschädigten in Bezug auf den Schaden keine vertragliche Bindung gibt.
Dies im Gegensatz zur Haftung aus Vertrag, bei welcher der Schaden innerhalb einer vertraglichen Bindung geschieht.
Fritz Pfeife schneidet seine Bäume. Es windet stark. Dabei fällt einer der grossen Äste derart unglücklich, dass er den Zaun vom Nachbar Otto Streithahn beschädigt.
Gleichzeitig bricht aufgrund des Windes ein Ast eines Baumes ab und verbeult seinen neuen Audi A8. Otto ist ausser sich und verklagt Fritz auf Schadenersatz – für sein zerbeultes Auto.
Im obigen Beispiel gibt es zwischen dem Schädiger und dem Geschädigten in Bezug auf den Schaden keinen Vertrag. Auf dieses Beispiel werden wir noch zurück kommen.
Verschuldenshaftung
OR Art. 41 beinhaltet vier Tatbestandsmerkmale, die alle erfüllt sein müssen, soll besagter Artikel zur Anwendung kommen:
- (Finanzieller) Schaden
- Widerrechtlichkeit
- Adäquater Kausalzusammenhang
- Verschulden (absichtlich, fahrlässig)
(Finanzieller) Schaden
Unter OR 41 fallen die Schäden finanzieller Art, d.h. alles, was das Vermögen des Geschädigten mindert.
- Der Zaun im obigen Beispiel geht kaputt
- Sonja schubst eine Vase unabsichtlich vom Balkon runter. Sie schlägt Rudi auf den Kopf. Er muss ins Spital.
- Spitalkosten
- Lohnausfall
Widerrechtliche Handlung
Widerrechtlich ist jede Handlung, die in unerlaubter Weise in die Persönlichkeit eines Menschen oder in sein Eigentum eindringt.
Mit Verletzung der Persönlichkeit ist die Verletzung der Gesundheit, der Privatsphäre oder der Ehre einer Person gemeint. Es ist eine unerlaubte Handlung, wenn Max den Moritz schlägt. Genauso unerlaubt ist es, wenn Max heimlich das Treiben im Schlafzimmer von Moritz und seiner Frau Gerda beobachtet. Unerlaubt ist es auch, wenn Max verleumderisch die Nachricht verbreitet, Moritz sei seiner Frau untreu.
In unerlaubter Weise dringt Max in das Eigentum von Moritz ein, wenn er diesem z.B. die schönen Rosen abzwackt, um sie seiner Freundin Lucy zu schenken.
Adäquater Kausalzusammenhang
Es muss zwischen der schädigenden Handlung und dem Schaden einen Zusammenhang geben. Ursache und Wirkung muss klar erkenntlich sein. Ein „adäquater“ (angemessener) Kausalzusammenhang bedeutet, dass nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge eine Ursache eine gewisse Wirkung zu erzielen vermag.
Hier nun eine kleine Übung zum Beispiel weiter oben:
Verschulden (absichtlich oder fahrlässig)
Der Schädiger muss die Schädigung schuldhaft verursacht haben. Nach OR Art. 41 muss er mit Absicht oder zumindest fährlässig gehandelt haben. Auf jeden Fall muss er urteilsfähig nach ZGB Art. 16 sein.
Mit Absicht handeln bedeutet, dass z.B. Moritz mit dem Fahrrad den Max absichtlich umgefahren hat oder er hat zumindest es in Kauf genommen, dass er Max umfährt.
Fahrlässig handeln bedeutet, dass Moritz mit einiger Vorsicht hätte bemerken müssen, dass er Max mit dem Fahrrad umfährt.
Der Geschädigte muss das Verschulden des Schädigers beweisen können!
Eine kleine Übung zu OR 41
Kausalhaftung
Das Gesetz sieht auch Haftungen für unerlaubte Handlungen vor, die kein Verschulden voraussetzen. Diese nennt man Kausalhaftung. Die Tatbestandsmerkmale sind wie folgt:
- (finanzieller) Schaden
- Widerrechtlichkeit
- Adäquater Kausalzusammenhang
Die einzelnen Kausalhaftungen – eine Übersicht
OR 55 – Geschäftsherrenhaftung
1Der Geschäftsherr haftet für den Schaden, dein seine Arbeitnehmer oder andere Hilfspersonen in Ausübung ihrer dienstlichen oder geschäftlichen Verrichtung verursacht haben, wenn er nicht nachweist, dass er alle nach den Umständen gebotene Sorgfalt angewendet hat, um einen Schaden dieser Art zu verhüteten, oder dass der Schaden auch bei Anwendung dieser Sorgfalt eingetreten wäre.
Der Geschäftsherr kann auf denjenigen, den den Schaden gestiftet hat, insoweit Rückgriff nehmen, als dieser selbst schadenersatzpflichtig ist.
OR 55
Betrachten wie diesen Artikel anhand eines Beispiels:
Die Maler Pfeife GmbH schickt einen noch unerfahrenen Lernenden namens Fritz, um die Küche der Renate Meier neu zu streichen. Fritz ist so ungeschickt beim Ausladen seiner Utensilien, dass weisse Farbe die Motorhaube des schwarzen Porsches von Susanne Bissig verunzieren. Susanne ist die Nachbarin von Renate.
Zwischen Susanne und Maler Pfeife GmbH gibt es keinen Vertrag. Entsprechend kommt hier die ausservertragliche Haftung zum Zug. Die GmbH haftet, sofern sie nicht beweisen kann, dass sie alle Vorsicht und Sorgfalt angewendet habe. Dies ist hier nicht der Fall! Einen Lernenden schickt man nicht alleine!
OR 56 – Tierhalterhaftung
1Für den von einem Tier angerichteten Schaden haftet, wer dasselbe hält, wenn er nicht nachweist, dass er alle nach den Umständen gebotene Sorgfalt in der Verwahrung und Beaufsichtigung angewendet habe, oder dass der Schaden auch bei Anwendung dieser Sorgfalt eingetreten wäre.
OR 56
Betrachten wir diesen Artikel anhand eines Beispiels:
Ronja geht mit ihrem Hund Fluffi spazieren. Fluffi ist nicht an der Leine. Ist auch nicht vonnöten, denkt sich Ronja, weil Fluffi ja so ein liebes Hundchen sei.
Uuups! Falsch gedacht! Als Peter an den beiden vorbei joggt, rennt Fluffi hinterher und beisst den Jogger in den Allerwertesten.
Ronja haftet für den Schaden, wenn sie nicht nachweist, dass sie alle nötige Sorgfalt hat walten lassen. Sie hatte Fluffi nicht an der Leine…sie haftet für den Schaden.
OR 58 – Haftung des Werkeigentümers
1Der Eigentümer eines Gebäudes oder eines andern Werkes hat den Schaden zu ersetzen, den diese infolge von fehlerhafter Anlage oder Herstellung oder von mangelhafter Instandhaltung verursachen.
2Vorbehalten bleibt ihm der Rückgriff auf andere, die ihm hierfür verantwortlich sind.
OR 58
Betrachten wir diesen Artikel anhand eines Beispiels:
Fritz – der Eigentümer des Einkaufsladen «Um die Ecke» – hat es im Vorweihnachtsverkauf versäumt, vor dem Eingang Salz zu streuen. Eine Dame rutscht auf dem Eis aus und bricht sich das Handgelenk.
Fritz haftet für die die Heilungs- und die Folgekosten.
Anderes Beispiel:
Rolf ist Eigentümer eines Einfamilienhaus. Der Nachbar Michael geht eines Tages neben dem Haus vorbei. Unglücklicherweise löst sich ein Ziegel von Rolfs Dach und fällt Michael auf den Kopf. Dieser muss ins Spital.
Rolf würde eigentlich haften. Aber er kann nachweisen, dass erst letzte Woche sein Dach von der Dach AG neu gemacht worden ist. Mit Absatz 2 kann sich Rolf aus der Verantwortung nehmen – so genannt exkulpieren.
ZGB 333 – Haftung des Familienoberhauptes
1Verursacht ein Hausgenosse, der minderjährig oder geistig behindert ist, unter umfassender Beistandschaft steht oder an einer psychischen Störung leidet, einen Schaden, so ist das Familienoberhaubt dafür haftbar, insofern es nicht darzutun vermag, dass es das übliche und durch die umstände gebotene Mass von Sorgfalt in der Beaufsichtigung beobachtet hat.
ZGB 333
Betrachten wir diesen Artikel anhand eines Beispiels:
Fritzchen ist vier Jahre alt und klaut vom Tisch die Zündhölzer, mit denen Mutti und Vati immer die stinkenden Glimmstengel im Mund anzünden. Er will das auch machen – und zwar mit seiner Papier-Zigarette. Er zündet sie hinter der Scheune des Nachbaren an. Das Ding brennt? Fritzchen lässt die papierne Zigarette erschrecht fallen…die Scheune fängt an zu brennen…
Fritchens Eltern haften, da Fritzchen viel zu klein ist, um selber die Tragweite seines Handelns zu begreifen. Auch hätten sie die Zündhölzer nicht offen herumliegen lassen sollen.