Der Philosoph Kierkegaard schrieb, der Blick auf die Zukunft sei ausschliesslich ein von der Vergangenheit reflektierter Blick. Nun Vertreter dieser Berufsgattung sind allgemein bekannt für ihre Neigung zu komplizierten, mit Paradoxien geschwängerten Sätzen. Indes erscheint die Aussage von Kierkegaard nur auf den ersten Blick paradox. Definieren wir vorerst einmal Geschichte nach J.G. Droysen (1808 – 1884) als das Resultat menschlichen Handelns, so lässt sich in der Tat behaupten, dass zukünftiges Handeln wesentlich von vergangenen Handlungen abhängt. Nehmen wir ein alltägliches Beispiel. Wer für einen Bekannten ein Geburtstagsgeschenk besorgen will, denkt darüber nach, was diese Person in der Vergangenheit für Vorlieben gezeigt hat. Zu treffende Entscheidungen sind also nie isolierte Prozesse, sondern sie vollziehen sich auf der Basis von Erfahrungen aus vergangenen Situationen, so dass zukünftige Handlungen im Wesentlichen auf Vergangenem fussen.ii Diese Erkenntnis hat weitreichende Folgen: Zukünftige Entscheidungen bedürfen der Kenntnis der Gegenwart, welche wiederum als Produkt der Vergangenheit nur durch diese gänzlich verstanden werden kann. Ein Blick in die Zukunft kann somit nur in Kenntnis der Vergangenheit gewagt werden. Wie sollte ohne Kenntnis der Vergangenheit die heutige wirtschaftliche und politische Situation der Schweiz wie auch anderer Länder erklärt und zukünftige Pläne ersonnen werden? Praktischer Nutzen aus dieser Erkenntnis ziehen zum Beispiel Börsenanalysten, die nach dem so genannten Portfoliotheorem des Wirtschaftswissenschaftlers und Nobelpreisträgers Tobin vorgehen. Tobins Idee ist folgende: Man nehme von verschiedenen Wertpapieren die früheren Kursverläufe, stelle diejenigen mit gegensätzlichen Verläufen zu einem Portfolio zusammen und nehme an, die Werte der Vergangenheit und der Gegenwart setzen sich in die Zukunft fort.

Historia magistra vitae – Die Geschichte als Lehrmeisterin des Lebens?

Bedeutet dies jetzt, dass ein jeder aus der Geschichte lernen kann? Wieso eigentlich nicht. Niemand hat das Verlangen, mit dem Kopf an den Türbalken zu stossen, wenn der betreffende weiss, dass die etwas harte Bekanntschaft mitunter tödlich enden kann – ein tragisches Schicksal, das Karl VIII., König von Frankreich, am 7. April 1498 ereilt hat.iii „Historia magistra vitae“ hiess das Zauberwort von der Renaissance bis hin ins 18. Jahrhundert. Die Idee ist einfach: Aus der Geschichte können direkte Handlungsanweisungen abgeleitet werden. So einfach ist es jedoch nicht. Geschichtliche Situationen sind jeweils in ein bestimmtes kulturelles, politisches, geistiges Umfeld eingebettet. Sie sind nicht wiederholbar. Der Aufklärer Montesquieu hat Genf bezüglich des Vertragsrechtes eine treffliche Republik genannt, da selbst die Kinder von verstorbenen Schuldnern haften und Nachteile in Kauf nehmen müssen, was den Genfer Kaufleuten mehr Glaubwürdigkeit verschaffe.v Können heutige fehlbare CEO’s so bestraft werden? Ein weiteres Beispiel: Johann Wolfang von Goethe rechtfertigte sein dreistes Abschreiben von Shakespeares Werken mit folgenden Worten der Unschuld: „So singt mein Mephistopheles ein Lied von Shakespeare [Hamlet], und warum auch nicht? Warum sollte ich mir die Mühe geben, ein eigenes zu erfinden, wenn das von Shakespeare eben recht war und eben das sagte was es sollte?“ Die Situation ist heute jedoch anders. Wenn im 18. Jahrhundert niemand am Abschreiben Anstoss nahm, so verurteilt die heutige Gesellschaft eine solche Handlung. Die Kenntnis der Geschichte kann nicht mehr als das Verstehen der Gegenwart fördern und so indirekt einen Blick in die Zukunft unterstützen.


Wer und was schreibt Geschichte?

Die Erkenntnisse der Geschichtswissenschaft basieren auf so genannten Quellen. „Quellen nennen wir alle Texte, Gegenstände oder Tatsachen, aus denen Kenntnis der Vergangenheit gewonnen werden kann.“, schreibt der Historiker Ernst Opgenoorth. Wer und in welcher Absicht schreibt in der Vergangenheit denn nun auf, was wir heute als Quelle benutzen? Genau hier ist Vorsicht angebracht. Jeder Mensch hat seine eigenen Ansichten und einen eigenen gesellschaftlichen Hintergrund. Somit werden niemals zwei Zuschauer eines Ereignisses ein und dieselbe Beschreibung desselben abgeben. Ein bis anhin unterdrückter Bauer wird sicherlich bei der Enthauptung des französischen Königs während der Französischen Revolution frohlocken, während ein Adeliger wohl entsetzt wäre. Deshalb sind Quellen immer mit Vorsicht zu geniessen. Wer was in welcher Absicht geschrieben hat, ist eine äusserst wichtige Frage, deren Beantwortung für eine saubere Interpretation unerlässlich ist.

Warum Epocheneinteilung?

Wir alle kennen die Einteilung der Geschichte in Epochen. Wir sprechen von Altertum, Mittelalter, Neuzeit, Zeitgeschichte. Diese Einteilung ist jedoch nicht naturgegeben, sondern wurde zwecks einfacherer Orientierung eingeführt. Allgemein gilt der Gymnasialrektor Christoph Cellarius (1638 – 1707) als Begründer dieser klassischen Einteilung, wobei er nur die ersten drei genannt hat. Cellarius hat übrigens nicht ohne Grund das Zeitalter zwischen Altertum und Neuzeit „Mittelalter“ genannt. Humanisten wie eben Cellarius, die eine Wiederauferstehung der grossartigen Kultur des Altertums anstrebten – deshalb auch „Renaissance“ – sahen in der Zeit zwischen der ihren (Neuzeit) und dem Altertum eine Periode des kulturellen Abstiegs. Deshalb nennen sie diese Zeit abschätzig das Mittelalter – ein Zeitalter, das nicht bloss einen Anfang, sondern zum Glück auch ein Ende hat. Die Zeitgeschichte als eigene Epoche kam erst später hinzu. Dabei markieren markante Brüche in gesellschaftlicher, politischer, wirtschaftlicher oder kultureller Hinsicht den Übergang von einer zur nächsten Epoche. Historiker sprechen auch von einer so genannten Zäsur.L Je nach Ansicht wird der eine oder der andere Bruch als wegweisend anerkannt und somit schwanken die Jahreszahlen. Beispielsweise lässt sich der Übergang von Mittelalter zur Neuzeit anhand der Entdeckungsreisen markieren (Christoph Columbus entdeckt Amerika 1492), da mit der Entdeckung neuer Erdteile die Vorstellungswelt der Menschen entscheidend verändert worden ist. Das Jahr 1517 käme aber auch in Frage, da dieses Jahr die Glaubensspaltung und somit den Bruch vom einheitlichen christlichen Glauben zu einer Vielfalt an Glaubensrichtungen markiert. Die Epochen sind also keinesfalls fix, sondern unterliegen der Argumentation.

Wie lange dauert ein Jahrhundert?

Eine völlig absurde Frage – zumindest auf den ersten Blick. Ein Jahrhundert dauert natürlich 100 Jahre, was denn sonst!? Für Historiker ist dies jedoch keinesfalls so eindeutig. In jedem Jahrhundert ist ein übergeordnetes allgemeines Thema auszumachen, wodurch der Übergang von einem zum anderen Thema als Bruch wahrgenommen wird, welcher also dann die Abgrenzung zwischen den Jahrhunderten ausmacht. Damit lässt sich die Geschichte systematisch ordnen. Das 19. und 20. Jahrhundert dienen hier als Beispiel. Allgemein wird vom langen 19. Jahrhundert und vom kurzen 20. Jahrhundert gesprochen. Dabei beginnt ersteres mit dem Zusammenbruch des alten Regimes (ancien régime) in der Französischen Revolution (1789) und endet mit dem Jahre 1917. Als Thema des 19. Jahrhunderts lässt sich beispielsweise die Entwicklung der Nationen nennen. Das so genannte Epochenjahr 1917 ist geprägt einerseits durch die Russische Revolution und spätere Gründung der Sowjetunion, was zur Spaltung der Welt in Ost und West führte und andererseits durch das erstmalige Auftreten der USA als Grossmacht im Ersten Weltkrieg. Das 20. Jahrhundert ist somit geprägt durch den Niedergang Europas als alleinige Weltmacht und den Aufstieg der USA und der Sowjetunion, was indes zur erwähnten bipolaren Welt führt. Diese Spaltung endet erst mit dem Jahre 1989 – also mit dem Zusammenbruch des sowjetischen Reiches, womit auch das 20. Jahrhundert sein Ende findet. Diese Einteilung ist aber bloss ein Ordnungsprinzip, um dem historischen Chaos eine Systematik zu verleihen. Nach wie vor fängt das 20. Jhr. mit 1900 an. Welches Thema das 21. Jahrhundert hat, liegt in den Sternen. Historiker sind schlechte Propheten…

Ach übrigens…was wissen Sie noch vom 19. Jahrhundert?

Literatur

Brockhaus! Merkwürdiges, Kurioses und Schlaues. Was so nicht im Lexikon steht. Leipzig 1997.

Commynes, Philipp: Memoiren. Europa in der Krise zwischen Mittelalter und Neuzeit. Übersetzt und herausgegeben von Fritz Ernst. Stuttgart 1972.

Cornelissen, Christoph: Epoche. In: Jordan, Stefan (hrsg.): Lexikon Geschichtswissenschaft. Hundert Begriffe. Stuttgart 2002. S. 70 – 72.

Herzog, Benjamin: Historia magistra vitae. In: Jordan, Stefan (hrsg.): Lexikon Geschichtswissenschaft. Hundert Begriffe. Stuttgart 2002. S. 145 – 148.

Lorenz, Chris: Konstruktion der Vergangenheit. Eine Einführung in die Geschichtstheorie. Köln/Weimar/Wien 1997.

Montesquieu, Charles-Louis de Secondat Baron de la Brède et de: De l’esprit des lois. In: Caillois, Roger (hrsg.): Oeuvres complètes. Paris 1951.

Opgenorrth, Ernst: Einführung in das Studium der neuen Geschichte. Paderborn/München/Wien/Zürich 51997. Schulze, Winfried: Einführung in die Neuere Geschichte. Stuttgart (3. Auflage) 1996.

Völkel, Markus: Vergangenheit. In: Jordan, Stefan (hrsg.): Lexikon Geschichtswissenschaft. Hundert Begriffe. Stuttgart 2002. S. 300 – 303.

Über den richtigen Umgang mit Quellen erfahren Sie in folgendem Video mehr.

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Eine Konsumsteuer wird vom Anbieter bezahlt. Dieser wird natürlich die Steuer auf den Konsumenten abwälzen. Entsprechend verschiebt sich die Angebotskurve.

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Manche Branchen bedürfen staatlicher Unterstützung. Das Paradebeispiel in der Schweiz ist die Landwirtschaft. Gemäss Art. 104 und 104a BV (Bundesverfassung) sorgt der Bund dafür, dass die Schweizer Landwirtschaft die Ernährungssicherheit der Bevölkerung im ökologisch verträglichen Rahmen sicherstellt. Dabei unterstützt er die Landwirte mit Geldzahlungen – so genannten Direktzahlungen. Landwirte erhalten nur unter bestimmten Bedingungen (Grösse, ökologischer Anbau usw.) Direktzahlungen vom Staat.

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Die Zivilstandsverordnung (ZstV) Art. 24 definiert den Ledignamen wie folgt: „Als Ledigname einer Person wird der Name erfasst, den sie unmittelbar vor ihrer ersten Eheschliessung oder Begründung einer eingetragenen Partnerschaft geführt hat; oder gestützt auf einen Namensänderungsentscheid als neuen Ledignamen erworben hat.

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